Samstag, 4. August 2012

Ethik einer toten Fliege


Ich hatte sie schon eine kleine Weile beobachtet, wie sie mit ruckartigen Flugbewegungen ihren Standort wechselnd, wieder auf der Tischplatte ganz in meiner Nähe landete; schnellfüßig strich sie über ihre Flügel und den Kopf bevor sie offenbar genüßlich ihren Rüssel in einen Limonadentropfen versenkte.
Ich war von dem filigranen Körperbau fasziniert ... doch sofort kam mir in den Sinn, daß dieses Insekt Bakterien überträgt und sehr lästig sein kann.
Die Fliege aber hatte sich weder auf mein Marmeladenbrot gesetzt, noch hatte sie mich in irgendeiner anderen Art, wie diese Tierchen es an sich haben, belästigt. Was soll ich sagen, außer daß es immer die Unschuldigen trifft; ein schwarzer Tötungsgedanke bemächtigte sich meiner Seele – nein, es war der Gedanke an MORD, denn mit Vorsatz und Heimtücke hatte ich Angesichts geschickter, reaktionsschneller Flugkünste des auserwählten Opfers eine Zeitung gefaltet und zur absolut sicheren Waffe auserkoren. Juristisch also klassische Merkmale von Mordabsicht. Unsinn – gilt nicht für Fliegen – der Schlag traf und hatte einen platt gedrückten Insektenkörper zur Folge.
Nicht einmal sieben auf einen Streich, kam es mir in den Sinn. Ich fühlte mich sofort als Versager. Was aber war die Motivation für meine Handlung gewesen? Angst vor Krankheitserregern? Mein Gott, Milliarden Fliegen schwirren bei uns rum. Blödsinn also.

In mir erhärtete sich der Verdacht einem dunklen Drang gefolgt zu sein, der im Neid versteckt, sich nun mehr offenbarte. Ich, der ich nicht einmal die Gabe besaß so etwas Einfaches wie z.B. einen Tisch selber zu bauen, hatte ein Wunderwerk der Schöpfung zerstört. Es war düsterer Neid auf den Schöpfer aller Wesen, mein nicht so Sein-Können, wie er. Meine Wut über meine eigene Unfähigkeit, mein Zwang zur Zerstörung die teuflische Freude und der Triumph, die Leistung eines Anderen zu durchkreuzen!
Doch warum beschlich mich plötzlich Reue und eine gewisse Traurigkeit beim Anblick der zermatschten Fliege? Daß dieses Gefühl sich meiner bemächtigte, hatte etwas mit der Ethik zu tun, die mir mein Schöpfer eingepflanzt hatte: Ehrfurcht und Respekt für alles Lebende...



Die Kurzgeschichte wurde angeregt durch das wundervolle Gedicht „Fliegenschönheit“ von Ingo Baumgartner, nachzulesen bei tiergeschichten.de

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