Montag, 8. Juni 2009

Europawahl(lokal)

Gottvater Zeus hatte es da leicht: als er EUROPA erwählte, brauchte er sich nur in einen weißen Stier zu verwandeln und schon war das Schicksal Europas besiegelt. Heute müssen
27 Länder und deren Bevölkerung befragt werden und da kann vieles schief gehen, wenn nicht viele gehen, ich meine zur Wahl. Das fängt schon mit der Auswahl der Gebäude zur Stimmabgabe an. Nehmen wir da z. B. mein Wahllokal. Es ist in der Grundschule unseres Ortes untergebracht. Früher war es in einem Lokal, sprich in einer Kneipe, direkt gegenüber der kath. Kirche. Da konnten die Bewohner gleich das umsetzten, was ihnen der Pfarrer empfahl, ohne durch zeitliche Verzögerung, die zu Gedächtnislücken geführt hätte, ihre Stimme abzugeben. Die Ergebnisse waren demnach sehr eindeutig und wurden von Wahljahr zu Wahljahr immer besser, bis eine Partei plötzlich bei 176% angekommen war, was natürlich dem Bierkonsum und nicht der Wirklichkeit entsprach. Das Wahllokal wurde dichtgemacht.
Deshalb für einen anfälligen Teil der Bevölkerung die Grundschule, gewissermaßen um die Grundlagen der Demokratie neu zu erlernen. Natürlich gehören zu einem Wahllokal auch Wahlhelfer, das sind jene bedauerlichen Menschen, die zusehen müssen, wie die Mitbürger wählen, ohne dass sie erkennen können, was die einzelnen da in den Wahlkabinen so ankreuzen – nichts für mich, der ich vor Neugier sicherlich platzen würde und dann wäre da ein Wahlhelfer ausgefallen. Nicht so mein freundschaftlicher Nachbar Heribert. Heribert hat sich dem gemeinen Wohl verpflichtet, was nicht bedeutet, dass er sich bei Gemeinen wohlfühlt. So viel zu den Vorbemerkungen, die wie immer recht ausführlich ausfallen, weil ich mich nicht so geschickt ausdrücken kann.
Also Europawahl. Natürlich gehe ich hin, als Rentner hat man ja sonst nichts zu tun. An der Grundschule herrscht gähnende Leere. Vorsorglich schaue ich nach, ob ich vielleicht den Termin verwechselt habe. Wahllokal und Termin stimmen, also kann ich meiner Bürgerpflicht genügen. Zwei Wahlhelfer und mein freundschaftlicher Nachbar Heribert werden in ihren heftigen Diskussionen durch den unerwarteten Besucher unterbrochen. Sie streiten nicht etwa, wie man das von politisch engagierten Menschen erwarten kann, über Politik, nein, sie streiten über Schalke, BVB und Bayern München gerade so, als ob die in einer neuen Europa-Liga kicken würden, diese Plattfischfußballer! Heribert schmettert mir ein: “na, schon aufgestanden?“ entgegen, was bei der Uhrzeit von 12 h 30 seinen unübertroffenen Humor dokumentiert. Ich gebe ihm beleidigt meine Wahlkarte, die ein zweiter Helfer gewissenhaft prüft und der Dritte in der Wahlliste mit einem ach, sehr, sehr, sehr einsamen Häkchen kennzeichnet. „Deinen Ausweis hätte ich dann noch gern“, tönt Heribert gewissenhaft. “Wozu das,“ frage ich verwundert. “Damit ich weiss, , wer du bist,“
kommt die Antwort. Meine Verwirrung ist so grenzenlos, dass ich meinen Ausweis zücke und ihm wortlos aushändige. „Wissen Sie, dass der abgelaufen ist“, kommt es streng aus seinem Mund. „SIE“ sagt jemand zu mir, mit dem er schon… das gehört hier allerdings nicht her!
„Sie können nicht wählen, ich weiss ja gar nicht, ob Sie das überhaupt sind.“ Die anderen Wahlhelfer nicken bestätigend. “ Ja, sagt einer, bevor wir uns Wahlbetrug vorwerfen lassen müssen und die Wahl für ungültig erklärt wird, müssen wir uns vergewissern. wir rufen am besten den Wahlleiter an.“ Der ist nicht da, mit seiner Familie picknicken, er konnte auch nicht ahnen, dass jemand zur Europawahl geht, ihm sei verziehen. Ich bestehe auf meinem Grundrecht der aktiven Wahl. Da kann man nichts machen, höre ich die Drei tuscheln. Sie bieten mir einen Stuhl an (zweite Klasse Grundschule, für meine Größe etwas unbequem)
War das vielleicht Absicht? Ich harre aus. Nach zwei Stunden wird der Wahlleiter auf seinem Mobiltelefon (ich hasse das Wort Handy, wie man nachlesen kann)* erreicht. Kurze Diskussion. Dann händigt man mir großzügig eine Klorolle aus. „Was soll ich denn damit?“ frage ich empört. „Das ist der Wahlzettel mit den Parteien,“ werde ich rüde aufgeklärt. Aha, mehr Parteien als Wähler, denke ich so vor mich hin, sage es aber nicht, um die politische Motivation der selbstlosen Wahlhelfer nicht zu desillusionieren. Endlich kann ich mein ersehntes Kreuzchen machen, ich verrate allerdings nicht wohin. Es ist schließlich eine freie und geheime Wahl, deshalb tue ich auch so, als wenn ich im Hinausgehen nicht bemerke, wie sich die Wahlhelfer auf die Urne stürzen, um nachzuschauen, was denn ihr einziger „Kunde“ heute so gewählt hat.
Der aufmerksame Leser unter Euch wird gemerkt haben, dass diese Geschichte meiner Fantasie entsprungen ist. Heribert ist zwar Wahlhelfer gewesen, doch hat er vorsorglich vor dem Erscheinen von meiner Frau und mir die Schicht verlassen. Wir wurden freundlich von unserer Vizebürgermeisterin begrüßt und der Wahlablauf entsprach voll und ganz den
gesetzlichen Vorschriften. Neuwahlen werden also nicht ausgeschrieben.

*nachzulesen in dem Buch „Schön, dass man noch Träume hat“, meine Erzählung „Überraschung“ erschienen im Engelsdorfer Verlag

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