Mittwoch, 24. August 2011

Die Erscheinung



In der Luft waberte der süßliche Rauch von Tabakpfeifen und mischte sich mit dem Geruch abgestandenen Bieres, der davon zeugte, daß sich hier ein Grüppchen Gleichgesinnter getroffen hatte. Mit anderen Worten wir genossen die gemütliche Klön-Atmosphäre eines zu Ende gehenden Herbsttages, wohlig begleitet von Geschichten, die so oder so ähnlich sich abgespielt und mit wunderlichen Zusätzen ausgeschmückt zum Besten geben wurden.
Einer meiner Zechkumpane hatte etwas Besonderes zu berichten. Da er ein guter Geschichtenerzähler mit ausdrucksvoller Sprachweise war, lauschten wir gebannt seinen Ausführungen. „ es war,“ begann er und nahm zur Hebung der Spannung noch einen ordentlichen Schluck Bieres zu sich, „es war schon einige Jahrzehnte her.
Er machte eine kurze Pause. „Ihr müsst wissen, was nun kommt, kann man nur verstehen und einordnen, wenn man sich den Ort des Geschehens vor Augen hält. Es ereignete sich in einem Dorf nahe des Städtchen G. im ehemaligen Kreis L. und damit ein besseres Verständnis aufkommt: innerhalb der Diozese des Erzbistums Paderborn. Soviel Erläuterung ist unumgänglich!
Die außerordentlich konservative und bis zum Fundamentalismus neigende, streng gläubige Gemeinde hatte soeben einen neuen Pfarrer erhalten, von dessen Wirken man sich einiges versprach. Seine Predigten waren das personifizierte Gottesgericht und so wollte man das auch haben. Nur in einem hatte man sich offenbar getäuscht,
glaubte man wie bisher nach der Beichte mit einer eher laschen Buße davon zu kommen, zog der Pfarrer gänzlich andere Seiten auf. Wenn ihr versteht was ich meine. Die Gemeinde Mitglieder in der Mehrzahl Bauern fanden stundenlange Bußhandlungen denn auch nicht sehr produktiv aber da man schlecht etwas dagegen einwenden konnte, verfiel man auf den Trick die wirklich schlimmen Verfehlungen, gemessen an den Todsünden nicht zu beichten und sich auf die Läßlichkeit kleinerer Sünden zu verlassen. Zwar wunderte sich der Pfarrer nach einer gewissen Zeit, daß seine Schäfchen offenbar den Weg der Tugend gefunden hatten, schrieb dies aber seiner pastoralen Fähigkeit zu, um die er insbesondere die Mutter Maria in ständigen Gebeten angefleht hatte. Dies geschah erst mit Inbrunst, entwickelte sich jedoch im Laufe der Zeit nahezu exzessiv. So wurde aus dem frommen Hirten ein frömmelnder Priester. Die Gemeinde sah dies mit scheelem Blick.
Auffällig war, daß der Herr Pfarrer – nennen wir ihn der Anonymität willen nicht beim Namen – sondern fortan Monsignore – wann immer er Zeit hatte auf den Wiesen und Feldern umher spazierte und laut Marienlieder sang oder Gebete der Benedeiten rezitierte. Stets offenbar als Waffe gegen jegliche Versuchung irgend welcher Art sein Brevier gen Himmel schwang.
Eines Tages, in den frühen Morgenstunden, der Nebel begann gerade sich langsam aufzulösen, erblickte er am Horizont über den Kornfeldern eine weiße Gestalt, nicht sehr deutlich, eher ein bißchen verschwommen. Er schaute einmal, er schaute zweimal: das war keine Täuschung, die Gestalt setzte sich langsam in Bewegung und verschwand. Habe ich mir das nur eingebildet, dachte der Monsignore, oder war das tatsächlich die Mutter Gottes? Inbrünstig flehte er, die Gestalt solle sich doch noch einmal zeigen. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klaffen auch bei Priestern oft ganze Welten. Es gab keine weitere Erscheinung.
Beunruhigt ging er ins Pfarrheim zurück nicht ohne vorher in der Kirche ein Kerze anzuzünden. Abends, bei seinem gewohnten Gang durch die Felder ereignete sich wieder nichts. Monsignore konnte die Nacht kaum schlafen.
Behend machte er sich in der Frühe auf, um erneut nach der seltsamen Erscheinung zu suchen. Er sah schon in einiger Entfernung über dem Kornfeldhorizont diese seltsame weiße Erscheinung. Diesmal wußte er was zu tun war. Er brauchte Zeugen... kaum auszudenken welchen Ruhm er und das Örtchen überschütten werde, wenn er vor glaubwürdigen Zeugen die Erscheinung Mutter Marias belegen könnte. Er hastete zum Haus des Ortsvorstehers, klingelte Sturm und mit atemloser, sich überschlagender Stimme berichtete er von dem heiligen Geschehen. „Wir brauchen weitere Zeugen,“ sagte der Ortsvorsteher nüchtern. Beide begaben sich zum Hauses eines Notars, weckten den guten Mann und verlangten, daß er sie in das Feld begleite. So hasteten sie denn in aller Aufregung zu dem Standort, an dem Monsignore seine Beobachtung gemacht hatte. Tatsächlich war die Erscheinung noch vorhanden. Während Monsignore vor Ehrfurcht in die Knie sank, gingen die beiden Zeugen der Erscheinung entgegen. Je näher sie kamen verschwand die Figur nicht etwa, sie sahen jedoch ein seltsam ausgestaltetes etwas, einem menschliche Körper nachempfunden aber dem Aussehen eines Schneemanns ähnlicher als einem wirklichen Menschen. Es war, so stellte es sich heraus...die Reklamefigur des Reifenherstellers Michelin, montiert auf dem Fahrerhaus eines durch das Korn verdeckten LKWs, der sich auch nunmehr in der frühen Morgenstunde auf seine Tour begab und langsam in der Senke verschwand.
„Der Himmel steh uns bei,“ rief der Ortsvorsteher, ein durchaus frommer Mann, “unser Pfarrer ist verrückt geworden!“ Während sie auf den Getäuschten zu schritten, der Immer noch am Boden kniete, versprach man diese Geschichte geheimzuhalten. Eine solche Blamage mit dem zu erwartendem Spott wollte man der Gemeinde nicht zumuten.
Aber zwischen Wunsch und Wirklichkeit klaffen nun einmal Welten, wie wir gesehen haben. Einer der beiden „Zeugen“ muß wohl geplaudert haben, sonst könnte ich diese Geschichte nicht erzählen. Ob sie wirklich wahr ist? Nun, wenn ihr druckbetankt heute nach Hause wankt...glaubt nicht jeder Erscheinung.
Der Abend endete noch lustig.

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