Samstag, 23. April 2011

Der Sterbende und der Tod

Man hatte seinen Angehörigen schon vor einiger Zeit mitgeteilt, daß es keine Hoffnung auf Heilung mehr gebe, da das Pankreacarzinom als eine der bösartigsten Krebserkrankungen nicht heilbar sei. Nicht nur der ärztlichen Kunst waren Grenzen gesetzt sondern auch dem Leben des Patienten, dessen Tod man in dieser Nacht als wahrscheinlich ansah.
Aus diesem Grunde hatte man ihn aus dem Dreibettzimmer in das sogenannte „Badezimmer“ verlegt, um den anderen Patienten den Todeskampf ihres Zimmergenossen zu ersparen. Außerdem achtet jedes Krankenhaus penibel darauf, das Sterben nicht allen öffentlich darzubieten.
Man separierte also den Todkranken indem man ihn in das Sterbezimmer abschob und mit einer erhöhten Dosis Morphin sein Leiden zu lindern und die Schmerzen erträglich zu gestalten. Die Medikamentenzugabe versetzte den Patienten in einen Dämmerzustand, der einem Betrachter wie Tiefschlaf vorgekommen wäre, wenn nicht zwischenzeitlich dies entsetzliche Röcheln und Stöhnen zu hören gewesen wäre. Die Ärzte hatten ihr Menschenmögliches getan, benachrichtigten die Angehörigen von dem kritischen Zustand und überließen den Rest dem Laufe der Natur, die den Tod als Teil ihres Gesamtplanes begreift.
Der körperliche Verfall, all die zuführten Gifte der Chemotherapie, die Schmerzmittel und Medikamente zur Ruhigstellung hatten zwar seine Physis zerstört aber selbst in diesem Zustand arbeitete sein Gehirn noch mit erstaunlicher Klarheit – ohne daß er sich der Außenwelt noch verständlich machen konnte. Ihm war durchaus bewußt, in wenigen Minuten sterben zu müssen.
„Kommt jetzt das Licht, das unendliche Liebe versprach,“ wie manche Leute in einer Nah-Toderfahrung zu berichten wußten, dachte er.
Da spürte er plötzlich etwas Kaltes neben sich – eine Art eisigen Hauches.
„Ist da jemand?“ sprachen seine Gedanken, ohne daß sich irgendeine Schallwelle ausbreitete kam die Antwort:
„Ja, ich bin ´s , der Tod“
„Warum ausgerechnet ich, warum ausgerechnet jetzt,“ protestierten die Gedanken.
„So redet jeder – und meint damit es hätte statt seiner einen Anderen treffen sollen,“
sagte der Tod mit spöttischem Unterton.
„Ach, ich kann meinem Gott nicht gegenübertreten, ich bin nicht vorbereitet!“
„Ach dein Gott? Hast du einen eigenen?“
„Dem Gott meiner Religion. Dem einzigen, dem Schöpfer!“
„Jede Religion behauptet dem einzig wahren Gott zu dienen. Da gab es sie Götter der Antike, die saßen auf dem Olymp. Man opferte ihnen Jahrhunderte lang, Menschen wurden wegen der Beleidigung der Götter mit dem Tode bestraft, siehe Sokrates. Irgendwann flog der Schwindel auf und alles war umsonst.!“
„Aber es gibt doch nur e i n e n Gott – er hat sich doch offenbart!“
„Behaupten die Juden, die Christen und die Muslime. Sie versprechen Himmel und Hölle, insbesondere die Hölle, um so ihre Schäfchen zu disziplinieren – durch die Angst.“
„Ich habe auch Angst.“
„So wie damals, als die Hunnen durch das Land zogen oder im Schützengraben vor Verdun...oder vor dem Dinosaurus Rex?“
„Verspotte mich nur – da habe ich doch noch gar nicht gelebt !“ Seine Gedanken hatten einen drohenden Ton angenommen.
„Aha, da hattest du noch nicht gelebt – du warst also tot, nichts hast du mitbekommen, nichts gefühlt -–keine Angst, kein Nichts – hat es dir geschadet? Du kommst aus dem Nichts und ins Nichts nehme ich dich mit, denn ich bin Nichts, ich der Tod.“

Der Kranke tat seinen letzten Atemzug.
Leise traten die Angehörigen in das Sterbezimmer. „Er ist sanft eingeschlafen- ich glaube ein Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen“, sagte seine Frau unter Tränen.

Hier irrte sie. Im Nichts gibt es nicht einmal ein Lächeln!

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